Tausend Formen der Dystopie, keine der Utopie

„Konec světa může mít tisíce podob.“ 1 Einige von diesen Varianten dürfen wir in dem site-specific Theaterstück Poslední zhasne2 durchleben. Die Coproduktion von Divadlo Letí aufgeführt in Káznice, zeigt wie eine neue junge Generation von Autor:innen die Welt betrachten: auf dem Weg zum Untergang.

23. 5. 2025 Clara Pretterebner

Foto archiv DSB

Angefangen mit einer absurden Diskussion zwischen einer verschwörungstheoretischen Mutter, der antikapitalistischen, gar kommunistischen Tochter und einem zufällig anwesenden, von Gott erleuchteten Junkie, wird gleich klar: Dieses Stück zeigt den Wahnsinn, doch es ist der wahre Wahnsinn unserer Gesellschaft.

Mittelpunkt der Diskussion ist eine einsam stehende Toilette. Wer sie mit der Zunge berührt, beschwört das Ende der Welt hervor, so die Mutter. Dahinter steht laut ihr die Weltelite, darunter Bill Gates mit seinen giftigen Fairtrade Fröschen, verantwortlich für unteranderem: die „Flüchtlingskrise“, die Inflation, gendergerechte Sprache und Saša Uhlová. Dahinter könne nur Gott stehen, meint der vom Glauben und Drogen abhängige Herr. Das sei Unsinn, den die Krisen des Kapitalismus sie glauben lasse, so die Tochter. Also probieren sie es aus und schon steht vor ihnen ein schäbig gekleidetes Wesen, welche den Untergang verkündet: Das Ende der Welt stünde schon in exakt 90 Minuten an, um Mitternacht. Also läuft die Zeit davon, ebenso alle Zuschauer:innen, welche durch eine Dixi-Toilette in das Leben vor dem Untergang treten. Auf verschiedene Räume sind unterschiedliche Formen des Umgangs mit dem Ende der Welt dargestellt, wobei der Umgang vielmehr Eskapismus darstellt:

„Imerzivní inscenace autorstva a režisérstva nejmladší generace, která se vzdala alarmistických výkřiků ve prospěch hledání způsobů přežití.“3

Das fatalistische Ende der Welt erscheint hier wahrscheinlicher als die Möglichkeit sie zu Verändern. Das zeugt vor einer enormen Normalisierung der wahrgenommenen Zustände, was eine treffende Beschreibung des gegenwertigen gesellschaftlichen Bewusstseins ist, wovon die vielen dystopischen Prognosen in Politik und Medien zeugen: Trump als Symbol einer nicht aufhaltbaren Faschisierung, Umweltkatastrofen, die erst Vorgeschmack auf die Extremen der Klimakrise sind, nicht enden wollende Kriege; und keine Verbesserung in Sicht. Dieser Pessimismus durchzieht die jüngeren Generationen. Vor allem auf sozial Media herrscht eine Post-ironie, welche die eigene Bedeutungslosigkeit in einer fatalistisch erscheinenden Krise reflektiert. Poslední zhasne bedient sich diesem Humor, welcher genau den Nerv des Publikums trifft.

Dieser Pessimismus lässt jedoch die Menschen als handlungsunfähige Objekte gegenüber der Weltgeschichte zurück. Nur im Eskapismus finden sie Trost:

„Haben Sie schon unsere Produkte gekauft?“, so wird man von einem Schauspieler in einen abgenutzten Kellerraum eingeladen: Durch das Kaufen der Waren, welche auf das Kühlen spezialisiert sind, sollen die Kunden sich in einen Zustand von Krokodilen begeben können. Diese liegen im kalten Wasser, von außen scheinbar tot, ruhen und warten bis lebenswertere Umstände kommen. Der hier verhandelte Eskapismus: In Anbetracht des Endes der Welt konsumieren für angenehmes Warten auf den sicheren Tod.

In einem anderen Raum wird über die Neuaufstellung der Gesellschaft diskutiert. „Ve chvíli, kdy by se v projektu Země02 zavedla dikatura, jsi s tím v míru?“4 Steht auf den ausgeteilten Fragebogen. Zwischen den in Toga gekleideten Vertretern von Země02 entbrennt eine längere Diskussion über das öffentliche Auftreten der Initiative: Wäre es in Ordnung, einen Hitl…, nein einen römischen Gruß, wie Elon Musk, als Symbol der Organisation zu nutzen? Hier soll der Faschismus als Versuch, Ordnung im Chaos der zerbrechenden Welt zu finden, präsentiert werden.

Foto archiv DSB

Weitere Räume zeigen unter anderem Karaoke und Instagram-Reels, die Möglichkeit sich selbst in eine Cloud zur Unsterblichkeit hochzuladen, die eigenen Kinder auf die Suche nach einem anderen Planeten zu schicken.

„Immersiv“ wird hierbei ernst genommen: Das Publikum hat eine fast vollkommende Bewegungsfreiheit und interagiert mit den Schauspieler:innen in einer Weise, das zeitweise unklar ist und vergessen werden kann, wer spielt und wer zuschaut.

Die vielen freizugänglichen Räume erinnern an die Zerbrochenheit einer zerfallenden Welt selbst. Jeder Raum als Fragment. Nur zum Ende des Stücks kommt das ganze Publikum wieder zusammen, das Fragmentarische geht verloren, denn alle werden nun das gleiche Schicksal erfahren: den Weltuntergang. Die Zuschauer:innen werden in einen musikdurchströmten Raum geführt werden. Eine kurze Techno-Party entbrennt. Das Publikum tanzt geeint in der Vereinzelung des alleinigen Tanzes zur gleichen Musik. Gefolgt von einer letzten Ansprache des Überbringers des Unterganges, in welcher erklärt wird, dass es unerheblich ist, wie diese verbleibende Zeit verbracht wurde, denn das Ende ist für alle gleich.

Es gibt keinen Knall, keine Überraschung. Die Welt endet unspektakulär, kühl, berechenbar und mit ihr auch die Aufführung. Der erwartete Höhepunkt des Stücks ist zugleich ihr unspektakuläres Ende. Das erscheint als ein trockener Kommentar auf das Groteske und die Gleichgültigkeit der Apokalypse gegenüber den Menschen und ihrem Bedürfnis nach einem beeindruckenden Abschluss.

In einem Stück, welches durch seine immersive Natur die Zuschauer:innen aus ihrer passiven Situiertheit herausholen möchte, sie aktiv in das Geschehen einzubinden versucht, ist es gerade überraschend, eine pessimistische Erzählung vorzufinden, welches das Publikum nicht als politische Subjekte, sondern Objekte, gar Opfer des weltlichen Geschehens in die Welt setzt. Als Objekte des Konsums, des Faschismus, der Technologie, des Feierns und anderer Formen des hoffnungslosen Wartens.

Diese Darstellung einer Dystopie ist eine Zustandsbeschreibung gegenwärtiger Wahrnehmungen und darin ausgesprochen gut. Was das Stück jedoch nicht versucht ist über diese pessimistische Wahrnehmung hinaus zu gehen und ein Ende zu wagen, welches das Publikum wieder zu Subjekten erhebt. Es ist eine Absage an den bloßen Versuch einer Utopie.

Clara Pretterebner (studentka slovanských jazyků a literatury se zaměřením na češtinu v Berlíně, v Brně aktuálně na zahraniční stáži)


Divadlo Letí, Praha a Divadelní svět Brno – Poslední zhasne. Autorstvo Antonie Rašilovová, Daniela Samsonová, Lenka Rollová, Ondřej Kulhavý, Štěpán Vranešic, Tomáš Ráliš, režie Ctibor Němec, Emma Žežulová, Jan Froněk, dramaturg David Košťák, výprava Ester Hradilová, Jolana Šmejcová, Kristina Komárková. Psáno z uvedení v rámci Divadelního světa Brno 19. 5. 2025.

1 Das Ende der Welt kann Tausend Formen besitzen.
2 Der letzte macht das Licht aus.
3 Eine immersive Inszenierung geschrieben und produziert von der jüngsten Theatergeneration, welche sich von alarmistisch Schreien lossagte zu Gunsten der Suche nach Möglichkeiten des Überlebens.
4 Wären sie zufrieden im Falle, dass im Projekt Erde02 eine Diktatur errichtet wird?
Wären sie zufrieden im Falle, dass im Projekt Erde02 eine Diktatur errichtet wird?

 


Více článků

Přehled všech článků

Používáte starou verzi internetového prohlížeče. Doporučujeme aktualizovat Váš prohlížeč na nejnovější verzi.

Další info